Der Wald wird durch den Klimawandel vermehrt Stressfaktoren ausgesetzt. Im Fokus steht deshalb der Waldumbau hin zu mehr Resilienz, um Wälder an das Klima anzupassen. Dabei gilt es vor allem die vielfachen Ökosystemleistungen, die der Wald erbringt, zu erhalten. Wie ist der Status quo der deutschen Wälder und welche Rolle werden sie für kommende Klimastrategien spielen?
In Deutschland finden wir fast ausschließlich eine produktive Landschaft vor: das sogenannte Kulturland. Im Gegensatz zu einer Naturlandschaft ist es überwiegend von anthropogenen Systemen geprägt und erfüllt eine Nutzfunktion. So stellt die Kulturlandschaft in Deutschland Flächen, Produkte und Rohstoffe bereit, die durch verzweigte Infrastrukturen erschlossen werden und ist somit Schlagader des zivilen Lebens für unsere wachsenden Städte. Doch dieses Kulturland ist kein entleerter Raum. Es ist zudem Hort komplexer Ökosysteme, die das natürliche Zusammenleben erhalten, indem sie verschiedene Ökosystemleistungen erbringen. In der vielschichtigen Beziehung zwischen Stadt und Land spielt der Wald eine besondere Rolle. Durch den zunehmenden Klimastress ist die Bereitstellung dieser wichtigen Ökosystemfunktionen jedoch gefährdet.
Die Debatte im Umgang mit der Abwägung zwischen Ressourcennutzung und Naturschutz erregt zunehmend auch mediale Aufmerksamkeit. Dabei müssen entsprechende Überlegungen – zwischen Holzbedarf und Biodiversität, zwischen Wirtschaftlichkeit und CO₂-Mitigation – ganzheitlich diskutiert werden.
Neben der Bereitstellung von Ressourcen ist die Regulierung anderer natürlicher Systeme wichtigste Aufgabe des Waldes. Dabei ist die Reinigung der Luft von CO₂ durch Fotosynthese weithin bekannt und medial im Fokus. Der Wald ist essentiell für die Regulierung der Wassersysteme und generell des Naturhaushaltes. Außerdem ist er Lebensraum für Flora und Fauna und Hort der Biodiversität – ein oftmals unterschätzter Aspekt. Zugleich leistet der Wald verschiedene Dienste für den Menschen: Er stellt Holz und andere Produkte zur Verfügung, wird der Erholungsfunktion gerecht und sichert Arbeitsplätze.
Einige Studien, wie die des Biologen Robert Constanza “Changes in the global value of ecosystem services” (1), zeigen, dass es vom ökonomischen Betrachtungspunkt nicht leistbar ist, Ökosystemleistungen, die der Wald erbringt, durch technische Systeme zu substituieren. Als Beispiel lässt sich hier der Ersatz von natürlicher Fotosynthese durch maschinelle Sequestration von CO₂ anführen. Maya Göbel beschreibt diese Metastudie folgendermaßen: “Bis 2007 erbot die Natur dem Menschen 125 bis 145 Billionen Dollar pro Jahr an Dienstleistungen. Das ist deutlich mehr als das gesamte Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Welt, also die Summer aller Waren und Dienstleistungen, die weltweit in einem Jahr von Menschen hergestellt wurden. [...] Die Studie sagt auch, dass die jährliche Zerstörung der Ökosystemleistungen in 2007 bei etwa 4,3 bis 20,1 Billionen Dollar lag.” (2) Es muss also oberstes Ziel bleiben, die Ökosystemleistungen des Waldes zu erhalten und zu sichern.
Oft treten Konflikte zwischen den verschiedenen Ansprüchen an den Wald auf und es stellt sich kontinuierlich die Frage, welcher Funktion des Waldes Vorrang zu gewähren ist. So ist allein die Frage nach der Bereitstellung des Holzes eine, an der sich die Geister scheiden:
• Stoffliche oder energetische Verwertung von Holzrohstoffen?
• Totholz im Wald belassen oder durch Totholz stärkere Substitutionswirkung in der Energiegewinnung erzielen?
• Aufforstung mit der Fichte, die als Konstruktionsholz große Bedeutung hat, oder Umbau hin zu Mischwäldern mit größerer CO₂-Senkfunktion und mehr Klimaresilienz oder gar keine Forstwirtschaft?
So ist die Debatte um Extensivierung im Grunde eine Haltungsfrage wie Ökosystemleistungen aufzufassen und entsprechend zu priorisieren sind: Die Regulierung natürlicher Systeme nach dem Takt der Natur oder ein Verschränken anthropogener und natürlicher Systeme?
Heute wird deutlich, dass im Angesicht der Herausforderungen der Klimakrise nur ein ganzheitlicher Ansatz an erster Stelle stehen kann, anders als das bisher häufig der Fall war. Bei den Anstrengungen, die CO₂-Mitigation zu stärken und die Wälder auf kommende Klimaextreme vorzubereiten, müssen zugleich wirtschaftliche und soziale Gegebenheiten sowie Potentiale der übergeordneten Transformation bedacht werden. Beispielhaft steht der urbane Holzbau für ein solches Transformationspotenzial. Zentral ist also die Frage, wie eine intensive Holznutzung auch positive Entwicklungen für den Wald sicherstellen kann. Denn die Skalierung des urbanen Holzbaus, der Städten zwar auf den Weg der Klimaneutralität verhilft, wird zunächst den Bedarf enorm steigern.
Die nachhaltige Forstwirtschaft geht dabei folgendermaßen vor: Um den Wald klimastabil (resilient) zu machen, muss sich der Wald verjüngen. Das heißt die nachhaltige Forstwirtschaft stellt sicher, dass genug Licht auf den Waldboden fällt, damit junge Baumsämlinge aufkeimen und hochwachsen. Hierfür werden Zielbäume genutzt. Mit der Zeit bilden dann jüngere und ältere Bäume nebeneinander in mehreren Schichten ein kühles und feuchtes Waldklima. Wo nötig wird die natürliche Verjüngung mit zusätzlichen Baumarten ergänzt, denen man eine größere Widerstandsfähigkeit gegen Klimaextreme zuschreibt. Beispiel dafür sind die Douglasie und andere nordamerikanische Nadelarten sowie Sorten aus dem Süden Europas, die sich bereits an ein trockenes Klima anpassen konnten. Klar ist jedoch, dass Ansätze der Vergangenheit und das Setzen auf reinsortige Wirtschaftswälder mit dem Ziel einer gesteigerten Holzproduktion nicht zukunftsfähig sind. Ziel der FörsterInnen und WaldbesitzerInnen von heute ist ein Wald, der dynamisch auf veränderte Umweltbedingungen reagieren kann (3).
In der Klimatologie lässt sich nicht nur nachvollziehen, dass sich bereits früher Ökosysteme an das sich verändernde Klima angepasst haben, sondern auch, mit welcher Geschwindigkeit das passierte. Heute werden diese klimatischen Veränderungen durch das anthropogene Zeitalter und menschliche Systeme stark beschleunigt. Die natürliche Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme, die sich zum Beispiel anhand von Migrationsmodellen genau darstellen lässt, bedürfte einer circa zehn-fachen Geschwindigkeit, um mit dem vom Menschen-induzierten Klimawandel Schritt zu halten (4, 5, 6). Deshalb ist eine proaktive Anpassung des Ökosystems Wald wichtiger Bestandteil kommender Klimastrategien.
Im Folgenden werden die Wälder in Brandenburg und Berlin beispielhaft betrachtet. Die Wälder dort sind im Vergleich zu Deutschland besonders von Waldbränden und Verwüstung betroffen. Zudem haben sie eine einzigartige Zusammensetzung aus hauptsächlich Kiefernwäldern, die in der Nachkriegszeit gepflanzt wurden und somit ihre Erntereife nun erreicht haben. Dies bedeutet, dass in den nächsten Jahren in Brandenburg viel Holz geschlägert werden muss, um die Wälder zu verjüngen und so starke gesunde Ökosysteme zu erhalten. Die Wälder, die wenig divers sind, leiden übermäßig unter den klimatischen Konditionen und sind besonders gegenüber Schädlingsbefall und Waldbränden exponiert. Zwar gibt es in Brandenburg einige Schutzgebiete, zugleich ist jedoch die Waldbesitzstruktur kleinteilig, da seit der Wende Besitzungen rückgeführt wurden. Kleinstwaldbesitzern fällt es häufig schwer, auf die Folgen des Klimawandels nicht nur angemessen zu reagieren, sondern im besten Fall diesen auch zuvorzukommen, um den Wald zu schützen. Häufig sind diese Kleinstflächen wirtschaftlich nicht tragbar, und ein aktiver Waldumbau findet nicht statt. Doch nicht nur in Brandenburg finden sich solche Zustände, auch im Rest von Deutschland steigen die Schadholzmengen.
Aufgrund ihrer Kohlenstoffbindungspotentiale sind Landsysteme wie Wälder und ebenso nachwachsende Rohstoffe nicht aus globalen Klimastrategien wegzudenken. Wollen wir die Klimaziele erreichen, wie sie von COP26 bestätigt wurden, gilt es eine zweiseitige Betrachtungs- und Herangehensweise anzunehmen. Setzen wir uns zum Ziel, urbanen Holzbau zu etablieren und zu skalieren, müssen ebenso der Wald und die Ökosystemleistungen, die er erbringt, geschützt und für kommende klimatische Stresssituationen fit gemacht werden. Waldumbau und Rohstoffproduktion müssen parallel gedacht werden, nachhaltige Bewirtschaftung gefördert und die Abwägung zwischen Natur- oder Wirtschaftswald muss individuell, spezifisch und im Austausch getroffen werden. Jede Klimastrategie mit dem Ziel der Reduktion von CO₂-Emissionen und der Steigerung von Kohlenstoff Mitigation hat somit zwei gleichwertige Stränge: Produktion und Fürsorge.
Der nächste Artikel zu Remote Sensing betrachtet die Möglichkeiten, die Technologien eröffnen, um in diesen komplexen Fragestellungen wichtige Entscheidungen zu treffen.
Bibliography
1. Constanza et al., Changes in the global value of ecosystem services, 2014 ↗
2. Maya Göpel, Unsere Welt neu denken, 2020 ↗
3. Lebensgut Hessen ↗
4. Feurdean et al., Tree Migration-Rates: Narrowing the Gap between Inferred Post-Glacial Rates and Projected Rates, 2013 ↗
5. Thurm et al., Alternative tree species under climate warming in managed European forests, 2018 ↗
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