Das zunehmende städtische Bevölkerungswachstum erfordert Lösungen, um kurz- und langfristig bezahlbaren und qualitativen Wohnraum zu schaffen. Neue urbane Räume sollen durch Kombinationen verschiedener Wohnformen und Nutzungskonzepte eine soziale Mischung und Vielfalt ermöglichen. Gleichzeitig gilt es bei der Schaffung von (Wohn-)Raum nachhaltige und damit material- und energieeffiziente Bauprinzipien als zukunftsweisende Standards zu etablieren.
Unsere Städte sind Bestandteile komplexer Systeme und wirken als Inkubator von Rohstoff- und Energieflüssen sowie Emissionen. Städte, die auf nachhaltigen Technologien und Konsummustern basieren, begrenzen ihre klimawandelfördernden Umweltauswirkungen. Das Modell der nachwachsenden Stadt beschäftigt sich mit der synergetischen Kopplung von urbanen und biotischen Räumen zu resilienten Kreislaufsystemen als lokale Mitigationsstrategie.
Die Zukunft urbaner Räume wird durch die Ziele globaler Klimamitigationstragien definiert – entsprechend den Empfehlungen des Weltklimarats (IPCC) (1). Nachhaltige Stadtentwicklung basiert auf den Grundprinzipien des effizienten, konsistenten und suffizienten Planen und Bauens. Das bedeutet, unsere Ressourcen müssen produktiver eingesetzt werden (Effizienz), während im gleichen Maße die Nachfrage an Ressourcen abnimmt (Suffizienz). Die eingesetzten Technologien sollen dabei naturverträglich im Einklang mit unseren Ökosystemen eingesetzt werden (Konsistenz).
Unsere Städte werden damit als Bestandteile komplexer Systeme entwickelt. Das Ziel nachwachsender Städte besteht darin, resiliente (biogene) Wertschöpfungsketten zu bilden und damit klar definierte lokale Ökosysteme als Kreislaufsysteme mit effizienter Rohstoffnutzung zu erschaffen.
Zukünftige Stadtentwicklungsprozesse müssen folglich verstärkt Ressourcen schonen, Rohstoffe konsequent zurückgewinnen und Abfälle vermeiden und damit geschlossene Stoffkreisläufe und durchgängige Werkstoffkaskaden als Basis aller industriellen Optimierungsprozesse bilden (2). Durch die intelligente Vernetzung von Maschinen und Menschen durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien werden lokale und globale industrielle Prozesse zu ganzheitlichen Werkstoffketten verknüpft. Die Ausbildung von regionalen Lieferketten im Zusammenhang mit der Ressource Wald als Rohstofflieferant ist für die nachwachsende Stadt maßgebend. Für die nachhaltige Baustoffnutzung des lokalen Waldes ist der Holzbedarf langfristig abzuschätzen und zu antizipieren. Zur Produktion von nachwachsenden Rohstoffen für den urbanen Holzbau werden lokale Wertschöpfungsketten der Forst- und Holzindustrie in Form einer synergetisch vernetzten Holzinfrastruktur notwendig. Damit kann ein geschlossenes und transparentes Kreislaufsystem geschaffen werden, welches nur noch einen reduzierten Eintrag von systemfremden Rohstoffen und Baumaterialien benötigt. Auf den Ausbau der lokalen Infrastruktur zu geschlossenen Ökosystemen folgt die Entwicklung und Ergänzung von Wohnquartieren aus Bauelementen, die auf nachhaltigen, nachwachsenden Rohstoffen basieren.
Berlins Einwohnerzahl nimmt jährlich um die Größenordnung einer Mittelstadt zu. Gleichzeitig verdoppelte sich die Wohnfläche pro Kopf in den letzten 40 Jahren. Durch Weiterentwicklung bestehender Siedlungen und Planung neuer Stadtquartiere muss Berlin einen Wohnbedarf von 20.000 neuen Wohnungen von 2017 bis 2030 abdecken (3). Um den wachsenden Bedarf an Wohnraum in unseren Großstädten zugleich mit dem Prinzip eines sparsamen Umgangs der Ressource Bauland zu decken, sind neue Strategien der Innenentwicklung und Nachverdichtung notwendig. Gleichzeitig muss die soziale Heterogenität durch Stadtentwicklungsprozesse erhalten und weiter gefördert werden, damit das soziale Gefüge durch das städtische Wachstum nicht gefährdet wird. Nachhaltige Stadtentwicklung behandelt unsere vorhandenen Stadtstrukturen als schützenswertes Kapital aus sozialen Geflechten, investierten Rohstoffen und lokal-spezifischen Einflüssen. Bedarfsgerechte Quartiersplanung dient dem Schutz bestehender Infrastrukturen und definiert den Ausbau von Infrastrukturen als behutsame Intervention zum Bestehenden.
Aus Gründen der Materialeffizienz ist es geboten mit dem massiven Gebäudebestand zu arbeiten. Vorhandene Strukturen weiterzunutzen oder umzubauen, ist in den meisten Fällen nachhaltiger als sie abzureissen, zu entsorgen oder neu zubauen. Schließlich wurde bereits bei deren Errichtung eine große Menge an CO₂ freigesetzt. Durch Aufstockungen, Ergänzungen und Umnutzungen können neue urbane Räume auf Basis des vorhandenen Bestandes geschaffen werden. Bereits verbrauchte Flächen werden effizient genutzt und die urbane, soziale und technische Infrastruktur wird konsistent weiterentwickelt. Für eine verallgemeinerte Umsetzung der Strategien der umfassenden Nachverdichtung bedarf es auch einer Neudefinition von bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Vorgaben anhand der aktuellen technischen Randbedingungen.
Insbesondere für Nachverdichtungsprojekte bietet sich Holz als Baumaterial an. Denn: Holz weist nur ein Fünftel des Gewichts von Beton auf. Die Holzbauweise ist damit eine leichte Bauweise, die sich insbesondere für Bestandsergänzungen anbietet. Nur die Holzbauweise kann durch ihr leichtes Gewicht und schnelle und geräuscharme Montage das große Potential der Bestandserweiterung, Aufstockung und Lückenschließung in urbanen Zentren erfüllen. Insbesondere Quartiere aus Nachkriegsbauten der 1950er-Jahre in massiver Stahlbetonbauweise sind durch große Abstandsflächen frei erweiterbar.
Ziel einer nachhaltigen Städtebaupolitk muss also eine konsequente und beständige Erhöhung des Anteils von nachwachsenden Rohstoffen (auch: NawaRo) in allen Gebäudetypen sein. Dazu wird die Vergabe von Grundstücken in Zukunft auch an konsistente ökologische Kriterien, wie z. B. dem Treibhauspotential der Konstruktion sowie den Anteil an nachwachsenden Rohstoffen gekoppelt. Im Sinne eines materialeffizienten Umgangs mit Ressourcen gilt jedoch auch hier, den Ressourceneinsatz für die Konstruktion zu minimieren und bedarfsgerecht zu planen. Je nach Bauart - Rahmenbau, Skelettbau oder Massivbau – liegt der Ressourceneinsatz an nachwachsenden Rohstoffen bei bis zu 200 kg NawaRo / m² WF 4.
Der Begriff der Nachwachsenden Stadt wird heute hauptsächlich mit Gebäuden aus Holz-Primärtragstrukturen gleichgesetzt. Neben einer Optimierung des CO₂-Fußabdruckes der Tragstruktur bzw. des Rohbaus, besteht großes Potential einer zunehmenden Integration von nachwachsenden Rohstoffkaskaden in den flexibleren Gebäudekomponenten - Ausbau, Dämmung, Gebäudehülle sowie Haustechnik. Das Ziel einer nachwachsenden Konstruktionsstrategie besteht darin, den Anteil mineralischer und metallischer Komponenten für alle Gebäudeaspekte und -funktionen sukzessiv zu mindern und mineralische Bauteile durch nachwachsende Elemente zu substituieren und damit den CO₂-Fußabdruck von Baukonstruktionen zu minimieren. Die Holzbauquote von Neubauten beträgt laut Thünen-Institut 1 bei Wohngebäuden mit ein bis zwei Wohnungen im Jahr 2018 ca. 19,8%. Bei Wohngebäuden mit mehr als drei Wohnungen liegt der Anteil der Holzgebäude bei Neubauten jedoch unter 3 %. Insbesondere bei größeren innerstädtischen Baumaßnahmen ist die Holzbauquote gegenwärtig vernachlässigbar klein.
Lösungen für eine wirtschaftliche und effiziente Deckung des Wohnflächenbedarfs durch die Möglichkeiten des urbanen Holzbaus sind vorhanden. Der mehrgeschossige Holzbau hat sich in den letzten Jahren derart weiterentwickelt, dass mittlerweile eine große Auswahl an leistungsfähigen Werkstoffen, Bauteilen und Fügungsprinzipien zur Verfügung steht. Die grundlegenden Holzbauweisen Holzmassivbau, Rahmenbau und Skelettbau werden je nach Gebäudeentwurf und Gebäudeanforderungen zu hybriden Bausystemen kombiniert. Durch den hohen Vorfertigungsgrad im Holzbau sind Werkstoffe, Bauteile und Knotenfügungen als serielle Baukastensysteme denkbar.
Die Auswahl an nachwachsenden Elementen beschränkt sich dabei nicht nur auf Bauelemente aus Hölzern (Nadel- und Laubholz), Gräsern (z.B. Bambus) und Faserstoffen (Jute, Hanf etc.), deren breite Anwendung bereits in historischen Bauweisen nachgewiesen ist, sondern fokussiert sich darüber hinaus zunehmend auf die De- bzw. Rekomposition von Materialien zu neuen Werkstoffen. Durch die chemische Zersetzung von Materialien in deren Grundstoffe, erreicht das nachhaltige Bauen eine neue technologische Dimension. Gleichzeitig weist die Verwendung von Hölzern und Holzwerkstoffen durch die Weiterentwicklung von Fügetechniken, der Reduzierung von Sekundärstoffen wie Leim und der Einführung von biologischen Schutzstoffen ein ungebrochenes Potential auf.
Lebenszyklusorientiertes Entwerfen bedeutet Konstruktionen, Produktionsprozesse und Planungsstrategien zu entwickeln, die die Lebensdauer und Adaptivität von Gebäuden erhöhen und Bauteile und Baustoffe in eine umfassende Kaskadennutzung integrieren (5). Die Bauteile eines Gebäudes besitzen unterschiedliche Anforderungen an ihre notwendige Flexibiltät und Dauerhaftigkeit. Ein Gebäude lässt sich somit anhand der Lebenszyklen seiner Bauteile in eine Hierarchie aus fünf Kategorien unterteilen: Struktur, Raum, Hülle, Technik und Ausbau. Die Struktur muss über den längsten Zeithorizont erhalten bleiben, um die Standfestigkeit des Gebäudes zu gewährleisten, während beispielsweise Technik und Ausbau meist auf 20 Jahre ausgelegt werden. Je länger eine Kategorie zu bestehen hat, umso adaptiver sollte sie gestaltet sein, um sich an veränderte Anforderungen und Nutzungprogramme anpassen zu können. Somit wird die Grundlage eines zirkulären und effizienten Umgangs mit Baustoffen im Entwurf gelegt.
Die industrielle Fertigung von nachwachsenden Baustoffen wird durch die umfassenden Möglichkeiten der präzisen Materialmanipulation und Materialkombination in einer digital gesteuerten Komponentenherstellung geprägt (6). In Kombination mit digitalen Planungsmethoden ist eine durchgängige digitale Entwurfs- und Produktionskette möglich. In dieser Prozesskette werden vorgefertigte Bauteile produziert, die Teil einer systematischen Bauteilhierarchie sind. In Anlehnung an die Herstellungsprinzipien des Design for Manufacture and Assembly werden Produkte als Sub-Assemblies größerer zusammenhängender Bauteile entworfen und optimiert. Das Ziel ist eine Reduzierung auf mehrfach nutzbare und variabel einsetzbare Komponenten, die sortenrein rückbaubar und wiederverwendbar sind.
Sowohl statische als auch bauphysikalische Anforderungen an den Brand- und Schallschutz in Wohngebäuden aus nachwachsenden Baustoffen werden ausgiebig geprüft und entwickeln sich stetig weiter. Der Holzbau muss sich an diesen Anforderungen messen lassen und im Wettbewerb mit anderen Baustoffen wirtschaftliche Lösungen anbieten. Auch Hochhäuser in Holzbauweise sind durch Anpassung der normativen Rahmenbedingungen an den aktuellen Stand der Technik möglich und werden das Stadtbild in naher Zukunft ergänzen.
Bibliography
1. IPCC, Summary for Policymakers, 2018 ↗
2. König, et al., Lebenszyklusanalsyse in der Gebäudeplanung, 2010
3. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen; Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030, 2019 ↗
4. Hafner et al; Methodenentwicklung zur Beschreibung von Zielwerten zum Primärenergieaufwand und CO2-Aquivalent von Baukonstruktionen zur Verknüpfung mit Grundstücksvergben und Qualitätssicherung bis zur Entwurfsplanung, 2017 ↗
5. John Habraken, the Use of Levels, 1988 ↗
6. Wehrle, Bim im Vor- und Bauprojekt als konsistente und kontinuierliche Entwurfsschnittstelle, Architektur fertigen – Konstruktiver Holzelementebau, 2020 ↗
Complex Team (Living Systems)
Julia Dorn
Daniel Dieren
Martin Bittmann
Leonard Schrage
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